Nach „Kilometer 300“ beginnt die Steppe!
Gleich hinter Cernavoda ändert sich das Landschaftsbild, die DOMBRUDSCHA beginnt! Die Ufer der DONAU säumen steile gelbe und rosafarbene Sandfelsen, die mit zartem Grün bewachsen sind. Weite Flächen nur Gras. In den kleinen Gehöften stapeln die Bauern das dann braune gebündelte Gras übereinander zu einer Art Giebelhaus, oben immer schmäler werdend wie ein Hausdach! Der Fluß aber gebärdete sich wild, mittags starker Wind von vorn, halbmeterhohe Wellen rollen an, weiß bekrönt von Gischtschaum, echt Arbeit an der Pinne, damit ich das Schiff auf Kurs halten kann, denn die Untiefentonnen zu beiden Seiten gewähren nur eine enge Fahrrinne! Unter uns mögen viele Sandinseln verborgen sein, vom Hochwasser überspült. Am linken Ufer graugrüne Erlen, die ca. 30 cm dicken Stämme tief im Hochwasser stehend. Am rechten Ufer aber senkrechte Sandwände, rostbraune Steppe und frei laufende wunderschöne Pferde, schwarz-glänzende Rappen, rotbraune Stuten mit Fohlen, weißschimmernde Schimmel! TOPALU böte uns einen Anlegeponton, aber die Wellen sind viel zu hoch, der gelegte Mast wäre schwer gefährdet. Wir wenden uns einem Seitenarm links zu und hoffen, am nächsten Morgen weniger „Seegang“ zu haben, um in einem der Lipowanerdörfer an Land zu rudern, um die weithin goldglänzenden Kirchen zu besuchen!
Nachts angenehme fast „deutsche“ 23°, nach den 40°-Nächten friert‘s mich so, daß ich die 2. Decke hervorsuche! Nach dem erfrischenden Bad (an der Badeleiter ohne Schwimmzug!) im Fluß genießen wir zum 1. Mal in diesem Donauurlaub das Frühstück im Cockpit! Um 10 queren wir den Fluß und ankern bei km 362 vor dem flachen Grasufer des 1. Lipowaner-Dorfes, Gerhard pumpt das kleine Schlauchboot Microeos auf, wir paddeln ans nasse Grasufer und die 100 schnatternden Gänse treten den Rückzug an…
Ein braunes Zigeunerpferd steht angebunden an einen Kahn im Fluß, stampft vergnügt, badet, wälzt sich im Wasser. Die Zigeunerpferde haben ein rotes Band in den Schwanz geknüpft, der klapprige Holzwagen ist beim Müllberg, wo auch die braunen barfüßigen Kinder „schutteln“ und Plastikflaschen in Säcke sammeln.
Hinter kleinen Gemüsegärten voller Tomatenstauden, Kohlköpfe, Bohnenstangen und Zwiebeln erstrahlt blendend hell und golden die orthodoxe Kirche. Die 2 Glocken (von Hand angeschlagen) läuten ein Zwei-Ton-Gebet, wohl 10 Minuten lang.
Ghindaresti, das Lipowanerdorf!
Wir laufen den Trampelpfad zwischen Mais und Gärtlein mit Obstbäumen, Wein und Kartoffeln hoch zum Dorf. Neben der prächtigen großen Kirche steht eine kleine einfache Kirche der russisch-orthodoxen Lipowaner-Gemeinde, der russisch sprechenden streng gläubigen einst vertriebenen Siedler. Im Donaubuch lasen wir bereits, daß sie im 18.Jh. vom damaligen Zar aus ihrer Heimat verjagt wurden und nach der Flucht sich hier und bis zum Delta ansiedelten. Sofort sehen wir es an den blauen Augen, den blonden Haaren, Alte mit langen Bärten, die Frauen mit typisch „russischen“ schwarzen Kopftüchern mit leuchtend-roten Rosen drauf! Die Häuser nur niedrig, meist 1-3 Zimmer, rotes Walmdach, Vorgärten mit üppigem Blumenschmuck, sauber angemalte Zäune, liebevoll gepflegte Türen und Fenster-ganz anders als in der „Großstadt“ Cernavoda!!!
Als wir die Stufen zur kleinen Kirche hochsteigen, begrüßt uns ein junger Mann, von einem Unfall gehbehindert, nun als Ferien-Kirchdiener und Vorbeter f.d.Kinder hier. Er erlaubt uns einzutreten, aber wir dürfen nur nur bis zum Allerheiligsten/der Ikonen-Altarraum f.d.Popen/, Fotos verboten. Das höchste Kleinod der russischen Gläubigen ist eine meterhohe Ikonentafel, sicher Jahrhunderte alt, bei der Flucht mitgenommen aus ihrer Heimatkirche, hier verehrt, geziert mit zarten weißen Spitzen. Der Mann erklärt uns auf Englisch die Gebetsketten, die an Haken an der Wand hängen, darunter bunte handgearbeitete bestickte Kniekissen. Es ist wohl im Ritus eine Art Dauergebet im Knien wie bei uns der Rosenkranz, nur keine Perlen, sondern kleine Stäbchen oder flache Lederriemchen, an einer Kordel. Ja, 20 Minuten dauert so ein Gebet schon, die Mutter stünde daneben und halte die Kinder an, es wirklich ernsthaft fertig zu beten, Stirn am Boden…Der Kirchhelfer war nach einem Autounfall querschnittgelähmt, nun humpelt er an einem Dreibein, ich singe für ihn zu unsrem gemeinsamen Gott, er verbeugt sich, ist unendlich dankbar, glaubt, es helfe ihm, wieder zu gehen… Als wir vor der Kirche ein gemeinsames Foto machen dürfen, kommen 2 kleine Buben, mit bunter Gebetskordel um die Taille, sich 3x bekreuzigend unter der Kirchgarten-Pforte, in der ich in der Verzierung einen Violinschlüssel vermute. Alle im Dorf seien Lipowaner, sprechen auch alle russisch! Die Kinder adrett und sauber, ja, man ist stolz auf die eigene Schule! Wir wollen ein wenig mehr erfahren, setzen uns vor den kleinen Laden zu den Männern mit ihrem Bier, kaufen auch 2 Flaschen, Glas gibt’s keines dazu. Einer spricht italienisch, er hat in Turin gearbeitet. Die andren älteren Männer sprechen nur russisch. Da fällt mir ein, daß sie meine russischen Volklieder kennen könnten. Ich stimme das Schlaflied „Schlaf mein Söhnlein,schlaf ein Schläfchen, Bajuschki baju! an – sie summen verträumt mit, sehr erstaunt, daß die deutsche Madam es kennt!!! Dann singe ich (J sehr temperamentvoll!) „Kaljinka, Kalinka, Kaljinka moja, sado jagoda Malinka, Malineka moja, Eida ljuli, ljuli…“ man singt mit, klatscht sich auf die Schenkel. Mein 3. Lied kennen sie auch, sie singen den russischen Text: „Als zum Wald Petruschka ging….“ So geht Verständigung ohne Russisch-Kenntnisse!
Bei der Post steht eine Schlange Frauen und Männer an. Ob es hier Rentenauszahlung gibt? Die schattigen Lauben vor den Eingängen der Häuser hängen voller dunkelblauer süßer Trauben! Gemächlich schlendern wir den Sandpfad zwischen den Holzstaketen aus Ästen hinab zum Fluß, wo unsere EOS am Anker hängt wie ein treuer Diener. Keiner hat die Paddel „geklaut“-wir rudern zurück. Kaum an Bord, kommt ein geteerter kohleschwarzer Kahn (wie verbranntes Holz, nun wasserdicht ) gegen den Strom angerudert, 5 hübsche 17 Jährige an Bord. Gerhard darf ihren Nachen rudern! Ein bittender Blick, dann ziehn sie sich freudestrahlend an der Bordwand hoch, Klimmzüge wie Sportler und – schwuppdiwupp- hechten sie vorn vom Bug. Behände klettern sie über die Badeleiter, und dann folgt Salto auf Salto, das größte Vergnügen. Nur 1-2 können Englisch, aber sie stellen sich wohlerzogen vor: Valentin, Aleksander, Julian, Mihail,Stefan, Markus… und wieder one,two,three ein Doppelsprung . Sie lachen als ich sage sie sehen am Foto aus „like frogs“! Gesunde, schöne Jungs mit BLAUEN AUGEN und schlanken durchtrainierten Körpern, auch ohne Turnhalle…Höflich bedanken sie sich für den Spass des „Sprungbretts“, welch reizender Besuch! Unvergeßlich.
Nach Norden auf der Donau
Um 13.45 Uhr Anker auf und im eng von Untiefen-Tonnen begrenzten Fahrwasser weiter „gen Norden“. Auf der Europakarte fahre ich mit dem Finger eine waagrechte Linie entlang und nenne die Namen der auf unsrer Höhe liegenden Städte: Erstaunlich nördlich!
Bordeaux, Lyon, Genf, Turin, Mailand, Padua, Venezia, Pula (Istrien), Rjieka, Novi Sad, Braila, Halbinsel KRIM, Sevastopol, Sotschi,Rußland….
Gerhard hat inzwischen via SMS und Telefonat und EMAIL Kontakt nach Galati zu einer uns empfohlenen Schiffswerft, die uns den Mast stellen wird. Dann haben wir endlich mehr Fußfreiheit und beim Anlegen nicht mehr den überstehenden Spieß an Bug und Heck! Noch 100 km dahin.
Am frühen Nachmittag (Dienstag, 19. August) dürfen wir am Ponton der Hafenmeisterei HIRSOVA anlegen! Welch seltener sicherer Anlegeplatz im Fluß! Wir gehen in die 10.000Ew.-Stadt, viele große EUROPA-Schilder bezeugen eine Förderung der regionalen Entwicklung, Parks mit Springbrunnen und Bänken, aber die Plattenbauten ähnlich wie in Cernavoda. Nein, es gibt kein Internet, sagt uns der Gastwirt. Also einen der herumstehenden jungen Burschen fragen. Er führt uns zu einem kleinen Sportwetten-Office. Da hängen auch die vielen Bus-Fahrpläne aus, nach Belgien, Malmö, nach Zürich, Turin, Belgrad. Flinke Finger am Tablet, dann funktioniert die Internetverbindung und wir können den Blog und unsere Fotos von Cernavoda senden. Ihr unsere Leser könnt euch nicht vorstellen, wie mühsam diese Senderei sich immer gestaltet, oft stehn wir in seltsamen Spelunken und Kneipen 2-3 Stunden lang und versuchen unser Bestes. Oft fliegt man aus dem Internet, muß neu anfangen, das Passwort erfragen, Manche Bedienung lief zum Nachbarlokal und holte deren Internet-Passwort, weiter probieren. Ihr habt keine Ahnung, wie Blogs manchmal „entstehen“!!!
Am Rückweg zum Schiff begegnen uns große Gruppen Sinti, viele Frauen, oft sehr junge Mütter, mit vielen Kindern. Sie betteln nicht! Wir hören später, daß die Männer mehrere Frauen haben und daher immer viele Mamas und Kinder jeden Alters mitlaufen. Die Kirche ist schon fast im Dunkeln, als wir hoch oben stehen und in die Abendsonne schauen, umwerfend das orangene Spiegelbild in der Donau, der Blick weit weit über’s flache Land, -zig Windflügler am Horizont. Als ich mich zum Nebenportal der Kirche umwende, glänzen die goldenen Apostelbilder über dem Portal im warmen Abendlicht, ganz sicher exakt so nach Westen vom Architekten geplant, ein fast mystisches Bild, der Tympanon im göttlichen Goldschein… Dahinter direkt am Bergeshang die sehr einfachen Zigeunerhäuschen, Plumpsclo im Bretterverschlag, Elektroherd im Freien, oft auf 1 Seite ganz fensterlos. Viele fröhliche Kinder, barfuß, oft Kleidchen die Mädle.
Sehr erstaunt ist man in der Stadt, wenn man vor den 2 gewaltigen mehrgeschossigen Palästen der Roma steht, üppig verziert mit feinsten Ornamenten. Da spürt man doch die Herkunft aus dem Erdteil im fernsten Osten, Indien, Pakistan,…mit dem ornamentreichen indischen Baustil. Die reichen Besitzer seien nun in Deutschland, mit 4 Mercedes… In den Gassen noch einmal solch ein verziertes Häuschen, mit unbeschreiblichen Dachformen wie in einem indischen Palast, hier oft 3-fache Türmchen, mit glänzenden Zinkplatten silbergrau gedeckt, völlig fremdartig in ihrer architektonischen Bauart.
Sehr nett und versiert englisch-sprechend der Hafenbeamte, einst Offizier zur See, Hamburg, Kiel, Rostock…Das Problem mit den Sinti 1000 etwa, sie ziehen in Sippen her und weg, zahlen nie Steuern, die Kinder gehen nicht zur Schule, auch Geburten daheim da sie keine Krankenversicherung haben. Sie halten Pferde im Garten, die auch auf den Straßen laufen, Schweine im Haus, kochen im Garten, all das sei nicht üblich in einer rumänischen Stadt! Er sei kein Rassist, aber als Stadtrat findet er („Only my opinion!I‘m not a racist…“), daß Bürger nicht nur Rechte haben, sondern auch DIE GLEICHEN PFLICHTEN – und die erfüllen die Sinti nicht, sie fordern nur ihre Gleichberechtigung. Der Bürgermeister braucht ihre Wählerstimmen, und so erlaubt er immer mehr, …auch Deutschland würde den Roma sehr viel zusichern, deshalb verlassen die Roma in Scharen Rumänien und machen sich auf den Weg nach Deutschland. Ich erwähne, daß bei uns doch keine unbewohnten Vororte frei wären für so viele Menschen und keine unbewirtschafteten freien Ufer an unsren deutschen Flüssen. Er meint, die wären hervorragend vernetzt und bekämen schnell raus, wo sie „bleiben“ können… Daß bei uns viele Bettler hocken und die Städte voll von musizierenden „Rumänen“ seien, wußte er nicht. Ich verspreche, ein Botschafter zu sein daheim, denn wir haben nur sehr freundliche, kultivierte, strebsame und äußerst höfliche und hilfsbereite „Rumänen“ kennengelernt auf der langen Flußfahrt auf der Donau.
Er bedankt sich sehr herzlich. Zurück an der EOS, spiele ich in die Abenddämmerung Lieder auf der Flöte. Das lockt Zuhörer an: Es besuchen uns an Bord unterm Moskitonetz 7 Jugendliche, Roxana, Aura, Stefan, Adrian,… sie sind flink am Smartphone, schießen Fotos, bieten ihre Facebook-Adresse an. Wieder so hübsche Gesichter, jedes Mal eine Überraschung. Alle wären sofort integrierbar in GERMANY, man würde keinem ansehen, daß er weit aus dem Osten Europas kommt. Sie erzählen von der Schule, daß sie nun lange 3 Monate (!) vacanza haben. Sie schätzen Deutschland, das Schulsystem, daß alle Englisch lernen bei uns, daß Korruption nicht ungestraft bleibt dort, sie wollen fleißig lernen, um ebenbürtige EU-Bürger zu werden. Herzliche Verabschiedung! Sie werden unsren Blog verfolgen, die FOTOS und später die Segelparadiese in der Türkei kennenlernen.
Am Morgen besuchen wir die Gold-Kuppel-Kirche am Hügel. Ein gigantisches Bauwerk. Eine Frau läßt uns hinein, stellt alle 3 großen Lüster an(schrecklich die kaltblauen Sparlampen zu dem warmen Gold der Ausmalung und Ikonenwand!!!) Unter der himmel-hohen Kuppel singe ich „Magnifikat“, Jubilate deo, Laudate omnes gentes. Sie ist dankbar. Dann wagen wir uns trotz der Warnung vor den wilden Hunden (bissig!) in die Zigeunergassen. Hier wird ein Perserteppich mit Seifenschaum gebürstet, dort hängen 20 indische lange Röcke, in einem Steintrog wird ein geschlachtetes Schwein entborstet, ein Pferd teilt sich eine halbe Melone mit dem Jungen. Ein einfach gemauerter Brotbackofen unterm Quittenbaum, eine Frau streut Kürbiskerne immer wieder in die Luft und läßt sie auf einer Plane am Gartenboden in der Sonne dörren. Lache ich ein kleines barfüßiges Mädle an, kommt die Mama mit einem 2. Und 3. Kind ans rostige Blechtor. Freundlich, herzerfrischend die Unterhaltung mit Mimik, Gestikulieren und ein paar Wörtern in Italienisch, Französisch, so erfährt sie, dass auch ich 2 Söhne und 1 Tochter habe, sieht das Foto vom Segelschiff und die Landkarte von Europa, ja, Germania, Dunarea, Sulina-Constanta. Kein Hund beißt, kein Kind flüchtet. Gerhard darf an ihrem Wasserhahn am Zaun trinken, potabile, si.
Ein Veterinär (in Deutschland auf Engl. Studiert!) schickt uns vage zum ehem. Castell, aber es ist total zerfallen und alles voller PET-Flaschen und Picknicktüten. „We citizens of Harsova are very stupid. We didn’t anything to save our history.. We’ve a little museum, but doesn’t matter, have a look at the golden church, ok. This big ruin-building was the only important big high-school of the region, now damaged, home of the rats…”
Kontakte zu andren Europäern? Nein, nur die AMADEUS kommt alle 2 Wochen, legt nur an, alle Touristen steigen in Busse und gucken kleine andre Dörfer an. Hirsova nicht….Ist billig für die Reeder…Aha.
Als wir zurück an Bord sind, hievt Gh. unseren kleinen Beibootmotor, den wir auf Warnung vor nächtlichen Dieben (die kommen mit der langen Stahlschere!) im Salon hatten wieder an Deck und an das Heck-Gestänge.
Im Logbuch notiere ich: gefahrene Kilometer: 2260. Noch 3 Meter über dem Meeresspiegel des Schwarzen Meers.
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