Die Überfahrt von Sardinien nach Sizilien in 42 Stunden

GerhardSan Vito la Capo, 29. Juni

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Heute um 4 Uhr früh fiel der Anker in Hafennähe. Wir beendeten die Überfahrt von Sardinien nach Sizilien mit einem Schnaps, einer Flasche Bier und einer kleinen Brotzeit, bevor wir in die Kojen fielen. 2 Tage und 2 Nächte Schaukeln waren beendet.Von Cagliari, der größten Stadt Sardiniens starteten wir am Samstag früh. Cagliari ist eine lebendige Stadt. Nachdem Gerdis Wunden im Krankenhaus versorgt waren und meine Ersatzteile für den Motor nicht aufzutreiben waren, genossen wir den Tag, schlenderten von der belebten und lärmenden Unterstadt am Hafen mit den prächtigen Bürgerhäusern durch Gässchen den Hügel hinauf bis zur Zitadelle. Der Ausblick von dort oben auf Stadt, Umland und Meer ist atemberaubend. Auch die Bewohner genießen diesen Ort offensichtlich gerne. Den Aufenthalt in Sardinien beenden wir mit sardischen Antipasti dort oben. Kleine Linsen sauer mit Schafskäsewürfelchen, Kichererbsen in Kräutermarinade, Erbsen (piselli) als Quiche mit Eimasse überbacken, Ravioli handgemacht mit Tomatensoße, Schinken, Wurst, Schweinsfüßle in Essig, wie unser Schwartenmagen, aber in losen Schnipseln, kleine Tomaten,Radiesle, rohe Selleriestangen zum Knabbern, reich verzierte dolce, kleine Gebäckstückle mit Likör, caffè.Dann schlendern wir die von Laternen schwach erhellten steilen Gässchen wieder zurück zum Schiff. Manche Bars sind ganz den jugendlichen Gästen angepasst: Bequeme Polsterecken, weiche Liegeflächen, Doppelhängematten, ja Freitreppen sind bepolstert und werden bedient. Nett, so was. Und das Eis! Menta, mele e canelli, pescha, melone… Spitze. Wir genießen es, solange wir noch in Italien fahren.

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Unser Liegeplatz ist in guter Nachbarschaft anderer Langzeitsegler, die diese, leicht verlotterte, Marina gerne aufsuchen (auch wohl wegen des Preises). Auf den Schiffen wird gelebt, man sieht es. Flatternde Bettbezüge und Wäsche, Staubsauger, Kinderwagen, Räder, Basilikum und Geranien in Pötten an Bord…Der Wetterbericht für die nächsten 2 Tage nennt Bft 4, Nordwest. Am Samstag früh nehmen wir Abschied mit Kurs 110 Grad. Je weiter wir in tiefes Wasser kommen desto länger werden die Wellen. EOS macht gute Fahrt, beginnt jedoch unangenehm zu schaukeln. Um 21 Uhr abends vesinkt die rote Sonne hinter den letzten Konturen Sardiniens. Der Autopilot hält den Kurs und eine Bullentalje verhindert eine Patenthalse. Teilweise segeln wir nur mit gerefftem Großsegel und ohne Fock. Der geplante Grillabend fällt aus und auch die Freiwache findet wegen der Schaukelei nur wenig Schlaf. Am Morgen mindern sich Seegang und Wind und lassen sogar ein Frühstück mit Kaffee und Tee am Tisch zu. Danach brist es wieder wie gewohnt auf und sorgt für schnelle Fahrt. Alle 2 Stunden ermittle ich den Standort am GPS und übertrage ihn auf die Seekarte. Die Punkte bilden eine gerade Linie zum Ziel. Auch am zweiten Tag ist ans Grillen oder an die Benutzung des Kochers nicht zu denken. Mittags eine Melone, abends Tunfisch mit Zwiebeln und Tomaten, Gurkenscheiben, Margarinebrote. Der Hunger ist gering. Die 2. Nacht verläuft wie die erste. Gereffte Segel, Wind von hinten und starkes Schwanken. Man merkt, die Nerven werden beansprucht, die Worte sind nicht immer nur freundlich bei den Kommandos.Doch die Entschuldigung kommt prompt… Schiffe begegnen uns kaum. Mal ein Frachter, eine Motorjacht und kurz vor dem Ziel ein Segler. Der Leuchtturm von Capo San Vito weist den Weg, mit GPS umfahren wir die Untiefen, halten uns frei vom roten Sektor des Leuchtfeuers (Untiefen) und steuern zuletzt auf den Ankerplatz zu. In Gesellschaft anderer Schiffe gräbt sich der Anker in den Sand. 189 Seemeilen haben wir in 42 Stunden zurückgelegt. Erschöpft, aber froh. Sizilien ist erreicht!!!GerdiDie ersten 8 Stunden ist es noch ganz normal, immerzu im Cockpit zu sitzen, mit allen Muskeln jede wilde Schiffsbewegung auszugleichen. Der hohe Seegang rollt von achtern in bisher nie erlebten langen hohen Wogen an, 3 Meter Höhe wohl, pirschen sich ans Heck der EOS, dann hebt sich der 9 m lange Rumpf wie auf einem glatten Walrücken empor mehrere Meter in den Himmel, um sofort danach geschmeidig aber wie auf einer monströsen geölten Wasserrutsche in das tiefe Becken des Wellentals zu gleiten, wo ich jedes Mal denke, mit dem Schiff dort unten zu versinken. Doch schon rauscht behände die nächste hohe Welle heran und wirft unser stolzes Schiff mit 40° oder mehr auf die eine Seite und gleich auf die andere. Man sitzt mit Lifebelt angeleint im Cockpit und bestaunt, wie das Schiff das meistert! Die mächtige Welle rauscht und rollt unter dem Rumpf durch, rumst gegen den Langkiel und schlägt fordernd gegen das Ruderblatt… Die Selbststeueranlage reguliert fast zornig den Kurs nach jedem Wellendurchgang, wie ein Stöhnen hört sich die Reaktion der Pinnensteuerung an.

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Irgendwann ist die Sonne am Untergehen, rot, einsam. Keine Schiffsbegegnung… Die ersten Sterne. Der große Wagen nun „hinter uns“ noch steil, später wird er waagrecht sein und die „Räder“ sanft auf die Kimm senken, gegen Morgen… Der Mond gesellt sich dazu, tags nur schwach zu sehen. Silbern ergießt sich das Licht der halben Scheibe über das stark bewegte Meer, sogar Sterne werfen ihr Licht geschwisterlilch neben die Lichtstraße, so dunkel ist Himmel und Wasser. Mare molto mosso – oh ja!!! Ich kann kaum mehr sitzen. Doch das Schauspiel ist faszinierend. Lange Wellen türmen sich auf zu spitzen scheinbaren Gebirgsrücken wie in den Alpen und verdecken die Kimm – es ist wie im Film und man kann sich nicht satt sehen! Bis um 2 Uhr früh halte ich, stehend im Cockpit – wie in einer Schiffschaukel mit den Knien ausgleichend – Wache, nun mit den fernen Lichtern der Westspitze der großen Insel im Meer: Sizilien!! Unser Ziel ist erreicht, nur noch 2 Stunden… Bald ist diese große 42 stündige Überfahrt „Vergangenheit“, ein Logbucheintrag… Doch etwas kerbt sich in die Seele ein, das absolute „Gefangensein“ auf den 9 Metern Schiff, das unausweichliche
ewige Schaukeln mit jener Macht der kräftigen Bewegung, das tapfere Vorwärtsjagen der EOS, auf Gedeih und Verderb mit uns, kein Entrinnen, auch nicht für 1 Minute, auch nicht am Klo! Zitternde Augenblicke, wenn die Großschot sich just beim Lösen der Bullentalje um halbzwei losreißt und am Schotwagen hin- und hergeigt wie ein Geschoss, Gerhards wilder Befehl „hol dicht“! und ich krieg sie mit der wehen rechten Hand nicht zu fassen und beim Bücken schleudert die Schotrolle mit dem schweren Schäkel gegen Stirn und Brille – nix passiert….Um halb drei feucht salzig unter Deck, verkeilt mit Deckenstapel und Kissen, aber ohne Stützsegel schlägt die EOS wild von links nach rechts… Ich schlafe erst um 4. Gerhard ruft mich behutsam an Deck: jetzt brauch ich dich. Beim Ankermanöver. Ankleiden. Raus. Der hohe schlanke Leuchtturm ist nun ganz nah. Ein echter Freund nach der langen Überfahrt. Das Dankgebet der Nachtfahrt singe ich noch einmal in den Wind: Herr, wir bitten, komm und segne uns, lege auf uns deinen Frieden, segnend lege Hände über uns, rühr uns an mit deiner Kraft… Segne uns o Herr, deine Engel stell um uns und verleih uns deinen Frieden gnädiglich…Mit Gottes Hilfe und der Kraft unsres schönen Schiffes werden wir auch die kommenden großen Meeresstrecken meistern…Und hier die Fotos…

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