GERDI
Ums Herz ist mir’s heute schwer… mein lieber Vati hatte am 3. August, seinem 63. Hochzeitstag, einen Schwächeanfall. Mit 88 Jahren. Klinik. Inge hatte ihren 1. Tag in Pension als Lehrerin, und dann gleich so was.Wir laufen aus, Wetterbericht sagt, 3-4 Bft Wind voraus. Nach einem kleinen Frühstück mit Familienrat heißt es dann doch: Auf geht!s. Erika sagt vergnügt:„KEA will ich aber schon noch sehen. Wenn schon Mykonos und Santorin zu weit weg sind! Und Kap Sounion morgen, o.k.?“ Sie sah es nicht. Denn es kam ganz anders. Wir sahen Gischt, die von Wellengipfeln flog, zerfetzte Streifen auf die bedrohlich hoch auflaufenden langen Wellen warf. Weiß schäumend wälzten sich die Wellen, die von steuerbord vorn auf die Seite prallten und unterm Kiel sich durchgewälzt hatten, auf der Backbordseite wieder heraus. Umtost vom strudeligen Lärm dieser Naturgewalt sitze ich an der Pinne, Lifebelt in der Stahlreling eingeklinkt, Schwimmweste. Die Wellen hoben uns wohl mehr als 2 Meter steil hoch, dann auch 3 Meter, und runter! Wie spitzige Gipfel rollen sie an, gekrönt von Schaum, prallen und schmettern gegen die Bordwand, werfen die tapfere Eos auf die Seite, im Salon knarzt und quietscht die schöne Mahagonieinrichtung, wenn sich die GFK-Schale so gequetscht bewegt.Mini-Fock, 2x gerefft das Großsegel, alles nass im Cockpit, die Brecher walzen das Vorschiff, schleudern das Wasser über die Crew, das Salzwasser brennt höllisch in den Augen, jeder hilft dem andern. Ein im breiten Grätschstand eingefülltes Glas Wasser mit der letzten pfefferminzigen Menta drin weckt die Reserven. Der Blick wird etwas mutloser. Wie lange wird der Seegang noch zunehmen? Hält das 35 J. alte Schiff das aus? Werden wir heute noch ankommen? Ich steuere bis 13 Uhr, dann will Gerhard einen Kreuzschlag machen.Ree! Über die Segel! Geschafft. Wieder gegen Wind und Wellen, die Eos kämpft, aber mit derart kleingerefften Segeln läuft sie keine „Höhe“ – enttäuscht stellen wir fest, dass wir fast auf eigner Kiellinie zurücksegeln und nicht etwas günstiger das Ende der Insel erreichen werden. Nochmal einen Schlag aufs offne Meer würde uns 4 Std. kosten. Der Skipper schaltet, ungewöhnlilch bei derartigem Wind, den Volvo Motor dazu und versucht Höhe zu schinden, gegenan. Nun ist es noch ruppiger, die Wellen laufen aggressiv auf unser Schiff zu, noch 2 Segler in der Nähe, die aber viel größer und schneller sind, wer weiß wie viel PS diese Charteryachten unterm Cockpit haben.Die bergartigen hohen Wellen stoppen uns auf 1,5 bis 2 sm/h. In den Wellentälern läuft die Schraube, aber oben auf den Gipfeln taucht bei der Schräglage der Unterbauch der EOS aus dem Wasser und die Motorschraube unter mir heult in der Luft, ein jaulendes Schreien bis sie wieder eintaucht. Innen läuft der Motor heiß wie ein Kachelofen, in den Porzellanschüsseln in den 2 Schubladen drüber könnte man ein Ei garen! Tosende Ungetüme verdecken längst die Kimm, den Blick auf den Horizont, der sonst eine Horizontale zeigt, wenn auch zackig vom Seegang. Wie damals 1976 vor Malta in der 7,50 m kleinen Delanta. 480 sm von Insel Paxos nach La Valetta. Die EOS rollt, legt sich auf die Seite, Fenster überspült,steht tapfer wieder auf, schüttelt sich, verharrt 2-3 sec auf dem Wellenkamm, um dann erneut abzutauchen, eine Art Achterbahnfahrt. So ab 17 Uhr legen Wellenhöhe und Windstärke stetig zu – ich bekomme nach diesen 9 Wochen auf See zum ersten Mal Angst, ob die Eos auch wirklich immer wieder „auftaucht“- unbeschadet. Und ich bete. Erika vertraut voll „auf den Papa“, ihr seid die Segler, ihr werdet schon wissen, wie man das macht! Aber auch der Papa hat diesen Seegang mit diesem Schiff noch nie erlebt. Und Erika blieb tapfer, keine Klage, keine Seekrankheit, kein „Jetzt langst’s mir“! Sie geht auch kurz an die Pinne, wenn Papa und Mama mit Segelmanövern 4 Hände voll zu tun haben, holt die Schot dicht, winscht die Fock. Es kam bloß ein klein wenig kleinlaut, dass sie das morgen nicht noch mal haben will. Lieber fährt sie mit der Fähre weiter.Gegen 17 Uhr nahmen wir die im Seegang stützenden kleingerefften 2 Segel herunter, wobei Gerhard gefährlich, wenn auch angeleint, am Mast vorne in den überkommenden Seen turnt, was mir immer wieder von Neuem Sorge macht. Fast alle anderen Segler bleiben heutzutage beim Reffen im Cockpit, lassen das Groß locker in den „Lazy Jack“, eine horizontale Stofffalte am Großbaum fallen oder rollen es in den Baum oder vertikal in den Mast ein, ein Kinderspiel.Voll gegenan mit kraftvoll laufendem Motor (Supermaschine!) bei heulendem Wind und schrillem Gepfeife in den Wanten erreichen wir „schon“ gegen 18 Uhr heil die etwas windgeschützte Bucht. Erst schleift der Anker, das Ausbringen der Leinen an Land mit der Maroni wird schnell abgeblasen. Kurzerhand dient uns ein Schlepper als Nachtschutz, wenn er auch mit den schwarzen Autoreifen-Fendern unsere Bordwand beschmutzt und unser Brett, die Gangway, aufscheuert. Wir bringen die nassen Sachen raus, hängen die salzweißen Schwimmwesten in den Wind, geben die durchweichten Küchenrollen vom Stauraum unter den Bodenbrettern in Mülltüten an Deck, Gerhard lenzt etliche Liter Bilgenwasser, holt die Kette, 50 m!, aus dem Bug-Ankerkasten, es ging nichts kaputt, kein Glas, kein Teller, alle Fotos bleiben an den Salonwänden, nur den Glasschirm der Petroleumlampe hatten wir im Bücherfach in Sicherheit gebracht.Nach 12 Minuten steh ich am Petroleumherd, brate rotviolette köstliche Zwieblen und Knoblauchwürfele in Olivenöl, schnippele Tomaten, frische Basilikumblätter, finde Nelke, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren, Pfefferkörner, Chili aus der Mühle, Zucker, Worcestersauce, Origano Zitrone gepresst, etwas Rotwein dazu – die Tomatensauce arrabiata ist fertig und gleichzeitig die Spaghetti. Erika will Zatziki als Vorspeise (Schafsjoghurt, Zitrone, gehobelte Gurke, Knoblauch, 1 Tl Zucker, Salz, 1 Tasse Dill). Und Gerhard will griechischen Salat. Kein Problem, schneeweißen Feta-Käse drüber — Köstlich.Draußen geht grad sagenhaft groß der Vollmond auf. Eine Bucht ist was Wunderbares.Wir schlafen alle 3 gut. Es ist vom Nordwind kühl, Erika schläft das einzige Mal in 10 Tagen Urlaub nicht an Deck unter freiem Himmel, sondern innen. Ein Wermutstropfen: Vati wird verlegt, ins Nürnberger Nordklinikum. Wir hoffen, dass sich mal Geriatrie-Ärzte um ihn kümmern.