KUSHADASI : VON GERDI
Am Morgen wandern wir den Berg am Stadtrand hoch, immer steiler, immer enger werden die aus Bauschutt und Kanistern gemauerten Treppen zwischen den nur notdürftig errichteten winzigen Häuschen, weiß angestrichen, dicht an dicht behängte Wäscheleinen davor, leere Flaschen, Essensreste, viele Kinder, Katzen, Hühner auf den kleinen Flachdächern, Geranien in leeren Ölkanistern, die Nähmaschine auf dem kleinen Platz vor dem einzigen Zimmer im Freien, oft liegt da auch ein Familienmitglied auf der Matratze… Eine abgesonderte kleine Notgemeinschaft, ein Slum in bester Hanglage, ein Armenviertel mit Anschluß an die Versorgungsadern der nahen Stadt da unten im Hafenrund.
Es gibt Wasserleitungen, Abwasserrohre, Licht, aber evtl. keine Müllabfuhr… Die hübschen Kinder – schwarze Kulleraugen, rabenschwarze Haare – betteln, die Mütter, alle mit Kinderwagen oder Baby am Arm, sie schimpfen… Zwei der Jungs leiten uns wie kleine Fremdenführer gerne weiter hoch in dem Gewirr von nur noch 1 Meter breiten steilen Durchstiegen zwischen verwinkelten Häuschen, über Felsen und hohe Stufen, rauf zum Denkmal des Ata Türk. Ein hoher Zaun, Stacheldraht. Ende. Der Große, 6.Klasse verkündet er stolz in gutem Englisch, baut sich vor uns auf. Jetzt wollen sie Geld. Aber Euro, €- keine türkischen Lira…. Jeder verlangt 2 €. Aber klar, kriegen sie.Wir haben einen atemberaubenden Bergblick über das Häusermeer von Kushadasi, die große Bucht, die Küste, die vorgelagerte Insel, die monströsen weißleuchtenden Kreuzfahrschiffe, die 3 Minarette der Moscheen. Dann steigen wir, Fuß vor Fuß, wieder ab. Zigeuner-Omas hocken in ihrer reichbestickten farbenfrohen Tracht aus mehreren Lagen weiten Röcken und blumenreichen Miedern und Kopftüchern, fein ziselierte Goldketten und Armreifen – mitten in den 2 Bergen aus dem naturfarbenen Wolle-Vlies der frischgeschorenen Schafe. Strahlend kommen uns die 2 Buben entgegen, zurück vom Geldausgeben, blitzende schwarze Augen, die Fäustchen um 2 Tüten: 1 große Dose Bonbons, 2 rohe Eier. Das reicht für 4-6 Pfannkuchen heute Mittag…!Von unten erschallt aus den Lautsprechern der Gebetsruf vom Minarett: Der Muezzin ruft zum Mittagsgebet. Da ich gerade ein Buch lese über das südliche Arabien (Unter dem Safranmond, Nicole Vosseler), kann ich jene gesungenen Worte sogar zitieren, denn kaum ein Leser kennt sie wohl:„Gott ist groß! Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Allbarmherzigen, Preis sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Allerbarmer, dem Allbarmherzigen, dem Herrscher am Tage des Weltgerichts. Dir wollen wir dienen, dich um Hilfe anrufen, führe uns zum rechten Weg. Den Weg derer, denen du huldvoll bist, über die nicht gezürnt wird, die nicht irre gehen. Allahu akbar!“
Wir folgen dem sonoren Klang bis zur Moschee und betreten den schattigen Hof mit den üppigen grünen Bäumen. An einem runden Waschtempel mit Baldachin erkenne ich im Rund 6 säulenartige Hocker vor 6 Wasserhähnen, hier führen die Männer ihre rituelle Waschung durch, Hände, Nacken, Stirn, Ohren und ausgiebig beide Füße. Blaugrüne, mit Gold verzierte Kacheln mit fein bemalter Fayence, Mosaik-Mäander als Bordüre – Zauber des Orients. Da winkt uns der weißgewandete Imam zu sich auf seiner Ruhebank. Er spricht etwas Englisch. Ob die Stimme vom Tonband kommt auf der Empore des Minaretts frage ich. Jaa, das sei seine eigene Stimme, natürlich. Und zum Beweis stimmt er sofort das „Allaaaah akbaar!“ an. Gerne dürften wir in die heilige Moschee eintreten. Aber erst die Sandalen ausziehen. Ein Vorraum, Teppiche. Da kann man wohl beten, wenn der Hauptraum versperrt ist. Und dann schließt er die Tür zum Gebetsraum auf und innen offenbart sich kostbar von kunstvoll bemalten bunten Kacheln verziert die Gebetsnische des Imam, drüber ein großer Kronleuchter mit Muranoglas und ein mächtiger Ventilator. Arabesken und märchenhafte Ornamente, das Lob Allahs in der geschwungenen und gepunkteten arabischen goldenen Schrift. Rotgemustert (in einzelne Gebetsplätze eingeteilt) der raumausfüllende Orientteppich, den betenden Männern vorbehalten. Die Frauen beten total getrennt oben auf der Empore, unsichtbar, verborgen hinter einem dichten Stoffvorhang, und ohne kühlenden Ventilator.Unser Interesse gefällt dem Geistlichen und er lädt uns ein, um 20 Uhr zum Abendgebet zu kommen. Wir sagen zu.Ich ziehe den langen indischen weiten Rock an und bedecke im Hof der Moschee Kopf und Schultern mit einem großen meerblauen Seidentuch. Um 20.57 braust der Imam mit dem Motorrad heran durch das Gartentor der Moschee. Er begrüßt uns mit Handschlag, Schuhe aus, ich werde nach rechts hinter eine Wand geführt und knie nieder. Er kommt zurück, „Come, upstairs! Follow!“ Die Frauen unten beäugen mich neugierig, binden das Kopftuch enger ( Ein Mann ist im Raum!). Ich steige hinter dem Führer die enge steile Treppe hoch zur Empore.“Alaman“- ah, eine Deutsche als sein Gast, so werde ich rasch eingeführt. Ich reihe mich in der hinteren der beiden Reihen ein. 30 Frauen, alle in weiten, langen Volant-Röcken. Vor uns 2 m hoch der Vorhang. Nichts zu sehen von der Pracht der Moschee, keine Lampe, keine Kachel. Nur die schlichten dürftig bunt umrandeten kleinen Fensterchen im Kuppelrand. Ich fühle Empörung in mir aufsteigen. Nur den Männern ist das Schöne vorbehalten. Die Frauen sollen es nicht schauen? Sollen hinter dem alles verhüllenden Vorhang wie auf ein Brett blicken? Und das Haar verhüllt, auch vor ihrem Gott? Kein Mann ist im Raum! Zu sehr bin ich Christin, um das zu begreifen, zu evangelisch, zu emanzipiert, zu sehr gleichberechtigte Ehefrau, zu stolz als Mutter und Frau, um hier nicht einen Stachel zu fühlen…Doch nun erhebt sich die gewaltige, wohlklingende melodiöse Stimme des Imam und hallt bis in unsre Abgeschiedenheit oben unter der heißen Kuppel. Sein arabischer Gesang ist ein Loblied. Inschallah, Allah akbar, das versteht jeder. Die Frauen werfen sich aus ihrer knieenden Kauerstellung immer wieder nieder, Stirne am Boden, Po hoch, immer 3 mal, so 20 Gebetsrunden. Fast 1 Stunde lang. Zwischendurch wieder aufstehen, Hände empfangend oder bittend zum Himmel, dann sogleich vor der Brust aufeinandergelegt. Man korrigiert mich, als ich sie locker auf den Schoß lege. Wieder auf die Knie, auf die Fersen abhockend, vorbeugen mit waagrechtem
Rücken, zurück auf den Boden, Hände auf den Knieen. Wie eine Tanzgruppe alles wohl abgestimmt und einheitlich. Eine wahrlich körperlich anstrengende Bet-Übung. Mein Meniskus-Knie schmerzt. Dann wenden alle vollkommen synchron die seidig glänzenden, tuchbedeckten Köpfe sanft im Bogen über die rechte Schulter, dann über die Brust sich senkend im Bogen nach links, wunderschön, fast tänzerisch. Ein zartes Gleiten, andächtig – sehr weiblich. Dann ein gemeinsames Murmeln, ein demütigesVerbeugen. Zwischen den Gebetsrunden dreht sich manchmal eine jüngere Frau zu mir um und lächelt bezaubernd und aufmunternd. Reden verboten. Sie kann wohl nachfühlen, wie sehr diese Hock-Steh-Knie-Übung mich anstrengt. Dann, nach 50 Minuten stehen alle auf, vorbei. „Come!!“ So ermutigt mich die Frau neben mir und schon klettern wir die Stiege hinunter. Der fröhliche , bartlose ca. 50 jährige Imam bedankt sich herzlich und mit freundschaftlichem Handschlag bei uns für den Besuch. Wir bedanken uns für diese seltene, ja einmalige Erfahrung, an einer muslimischen Gebetsstunde teilnehmen zu dürfen.Nun gehen wir in die kleine rein türkische Taverne, hungrig, es ist 22 Uhr. Der Imam hatte vor der 21 Uhr-Anbetung gemäß den Ramadanregeln nach Sonnenuntergang bereits fröhlich gegessen und getrunken!Es gibt Hammelköfte (Hack vom Grill), kaltes Gemüse gehackt (Zwiebeln, Gurken, Tomaten, grüne Paprika, viel Chili). Dazu Pilav- roter Tomaten-Reis mit Piniensamen- und knusprig aufgebackenes Fladenbrot mit schwarzen Sesamsamen und Kreuzkümmel. Beim Bummel zurück rauscht wieder starke Brandung durch die Nacht an den Strand, hohe Wellen, viel Wind da draußen auf See. Morgen will Gerhard früh um 5 los zu einer Ankerbucht. Es soll starken Wind geben, hoffentlich erst ab Mittag! Da wollen wir schon vor Anker sein.